Auf diese Generation muss Kirche sich einstellen. Aber was verbindet die 20- bis 30-Jährigen – und wie gläubig sind sie? Stephanie Schwenkenbecher und ich porträtieren die Generation Y, der wir selbst angehören, in unserem Buch. Es ist im Neukirchner Verlag erschienen.
Was andere über das Buch sagen
Vorgeschmack
Uns gibt es nicht. Die Generation Y ist eine Erfindung, der Versuch, eine ganze Generation zu fassen zu bekommen. Dabei sind wir viele, und wir sind vielschichtig. Und das hier festzuhalten, diese Einsicht voranzustellen, das ist wohl typisch Generation Y. Typisch für die Generation Y ist auch, alles bei Wikipedia nachzuschlagen: „Generation Y (kurz Gen Y oder Generation Me) wird die Bevölkerungskohorte beziehungsweise Generation genannt, die im Zeitraum von etwa 1980 bis 1999 geboren wurde. Je nach Quelle wird diese Generation auch als Millennials (zu Deutsch etwa die Jahrtausender) bezeichnet. Welche Eigenschaften Mitgliedern dieser Gruppe zugeschrieben werden können, wird in der Fachliteratur und anderen Medien vielfältig diskutiert.“
Vor uns waren die Babyboomer (etwa bis 1965) und die Generation X (etwa bis 1980). Es hieß einige Zeit, sie lege Wert auf flexible Arbeitszeiten, mehr Familienzeit, wäre zwar engagiert, würde aber doch ihre Selbstverwirklichung nicht nur im Beruf finden, sondern auch in ihren Freizeitaktivitäten. Eine Studie des Beratungsunternehmens Kienbaum unter Hochschulabsolventen stellte 2015 fest, dass zwei Drittel der Befragten Wert auf ein gutes Klima in der Kollegenschaft legen, 61 Prozent sei eine gute Work-Life-Balance wichtig und 59 Prozent bevorzugten „attraktive Karrieremöglichkeiten“. Diese Zuschreibung ist inzwischen widerlegt. Sie war wohl mehr Ausdruck der subjektiven Einschätzung einiger Babyboomer als ein repräsentatives Abbild einer Generation. Zum Glück stellte die „Vermächtnisstudie“ der ZEIT 2016 fest: Die Generation Y gibt es nicht! Die Zahlen gaben einfach keine signifikanten Unterschiede zu anderen Altersgruppen her. Tja.
Dabei klingt vieles von dem, was über die Generation Y gesagt und geschrieben wurde, grundsätzlich sehr sympathisch. Der Gesellschaft stünde mit ihr, würde sie den Zuschreibungen entsprechen, eine entspannte und soziale Zukunft bevor. Endlich würde der Traum wahr: weniger Arbeit bei gleichbleibendem Wohlstand. Schuften müssten ab sofort nur noch Roboter. Ora sine labora. Schade eigentlich, dass all das nicht wahr sein soll.
Eine Studie des Roman-Herzog-Instituts, die im Herbst 2016 vorgestellt wurde, legte dar: Die Unterschiede zwischen den Generationen X und Y seien nicht am Alter festzumachen, sondern vielmehr an der unterschiedlichen Qualifikation. Die beiden Gruppen unterschieden sich nicht in Bezug etwa auf ihre Lebenszufriedenheit oder die Sorge, den Arbeitsplatz zu verlieren. Lediglich bei Jugendlichen ohne Ausbildung sei ein höherer Grad an Zukunftssorgen nachzuweisen als bei der Generation X. Die Ypsiloner seien demnach fleißig und dienstbeflissen wie alle anderen auch. Sie neigten sogar dazu, im Eifer mehr Arbeit mit nach Hause zu nehmen und ständig erreichbar zu sein, wie es in einem Generationenporträt der ZEIT hieß. Der Technik sei Dank. Wir wachen morgens mit dem Smartphone in der Hand auf und schlafen abends damit ein. Es weckt uns, es weist uns den Weg, wir chatten, lesen und telefonieren damit. Müssen wir ein altes gegen ein neues Modell tauschen, kommt das einer Organtransplantation gleich.
Nicht nur unsere Telefone sind mobil, wir selbst sind es auch. Die innerdeutsche Grenze kennen die meisten von uns nur noch aus Erzählungen. Als Kinder sind wir auf der einen oder anderen Seite aufgewachsen. Aber Schlagbäume gehören für uns der Geschichte an wie die Deutsche Mark. Trotzdem hat uns die deutsch-deutsche Geschichte geprägt und bestimmt unser Leben – auch unseren Glauben – bis heute. Christinnen und Christen der Generation Y in Ostdeutschland kannten die Diaspora bereits als Kind, sie erinnern sich womöglich noch an Nachteile, die sie hatten, weil ihre Eltern in die Kirche gingen und sie nicht bei den Pionieren waren. Für sie war der Mauerfall auch ein gesellschaftliches Bekehrungserlebnis. Plötzlich durfte man öffentlich glauben. Der erste Kirchentag im Osten, 1996 in Leipzig, war eine Glaubensdemonstration, bei der niemand mehr Repressalien zu fürchten hatte.
Auch ein Spezifikum dieser Generation: Über die eigene Blase hinauszublicken, auch Menschen abzubilden und zu erreichen, die uns selbst unähnlich sind, ist uns offenbar unmöglich. Dennoch gibt es Schnittmengen, Ereignisse, die viele in unserem Alter verbinden. Uns gibt es nicht, aber ein „Wir“ gibt es schon.
Wir, die wir die Enkel der Weltkriegsgeneration sind und damit auch die letzten, die Zeuginnen und Zeugen, Täterinnen und Täter und auch Opfer der deutschen Schuldgeschichte persönlich befragen können. Wir, die wir den Deutschen Herbst nicht mehr unbedingt mit linkem Terror verbinden. Der deutsche Terror unserer Generation kommt von rechts. Das Ausmaß des NSU-Skandals müssen wir jedoch erst noch realisieren, bevor wir ihn dann hoffentlich aufarbeiten. Unsere Augen sind so sehr auf den internationalen Terrorismus im Namen des Islams konzentriert, dass wir den Terror, der sich christlich-fundamentalistisch oder ausländerfeindlich begründet, verdrängen.
Unsere Eltern sind der Kirche ausgetreten
Es mag daran liegen, dass unser erster Kontakt mit dem Islam die Fernsehbilder waren, damals, als wir 2001 von der Schule nach Hause kamen und statt einer Talkshow mit Arabella Kiesbauer zwei einstürzende Wolkenkratzer über den Bildschirm flimmerten. Seither müssen 1,5 Milliarden friedliebende Muslime auslöffeln, was ein paar Extremisten eingebrockt haben. Aber nicht mit uns: Wir differenzieren. Alles. Und. Jede/n. Apropos Fernseher: Wir sind die zweite Generation, die ihn kennt, und die letzte, die noch ganze Abende vor ihm verbracht hat. Wer wollte nicht einmal bei Thomas Gottschalk eine Wette einreichen? Als Kinder sahen wir den Disney- oder Tigerenten-Club. Der König der Löwen und Arielle, die Meerjungfrau haben unser Familienbild mehr geprägt, als jede Familiensynode oder Orientierungshilfe es je könnte.
Wenn wir nicht vor der Glotze saßen, spielten wir Tetris auf dem Gameboy oder Mario Kart auf dem Super Nintendo. Wir hatten ein Tamagotchi. Unglaublich! Die meisten Jungs spielten Ballerspiele. Deshalb mussten wir auch nicht unbedingt zur Bundeswehr. Wir ließen uns ausmustern. Man ließ uns gewähren. Eine AK47 konnten viele von uns schon mit 14 von einem G36 unterscheiden – Counter-Strike sei Dank. Der lächerliche Fehler, die MP5 im RAF-Logo für eine Kalaschnikow zu halten, wäre uns nicht passiert.
Die meisten Mädchen schmachteten je nach Jahrgang Take That, den Backstreet Boys oder N’Sync hinterher und sangen die Texte der Musikvideos bei MTV und Viva mit, obwohl sie noch kein Englisch konnten. Das hatte ein Ende, als das Musikfernsehen der Klingeltöne wegen ausstarb. Wir alle kauften donnerstags eine Bravo und manchmal auch heimlich ein Mickymaus-Heft. In unserer Jugend gab es an der Schule noch Raucherzimmer für die Lehrer und Raucherecken für Schüler über 16. Heute gibt es für alle, die dabeigeblieben sind, Raucherbereiche.
Überhaupt leben wir extrem gesund. Wir kaufen Bio-Lebensmittel bei Aldi, Fair Trade bei Tchibo, Bücher bei Amazon. Kurz: Wir lügen uns ständig selbst in den Jutebeutel. Wenn wir krank sind, geben wir die Symptome bei Google ein, bevor wir einen ärztlichen Rat einholen. „Bei Risiken und Nebenwirkungen …“ – läuft das in diesen linearen Unterhaltungsmedien noch? Aber wer will das unserer Generation schon vorwerfen? Die Zeit ist ungeheuer kompliziert. All die Dinge unseres täglichen Lebens versteht kein Mensch. Bei der Technik fängt es an, bei den politischen Verhältnissen hört es noch lange nicht auf. Vielleicht hat der Glaube deshalb Hochkonjunktur?
Jahrelang hat alle Welt geglaubt(!): Die Welt wird säkular. Und dann kamen wir – die Christen der Generation Y. Immerhin sind 37 Prozent von uns laut EKD-Mitgliedschaftsuntersuchung der Kirche oder einer Gemeinde sehr verbunden. Ganz ohne Berührungsängste vor dem Heiligen, dem Gleichnishaften, der Realpräsenz Gottes. Fromm und ohne Vorbehalte. Was die Generationen vor uns erstritten, was sie oft bis heute voneinander trennt, hat uns nie wirklich interessiert. Wir sind die Generation, deren Eltern aus der Kirche ausgetreten sind, um dann zuzusehen, wie ihre Kinder Pfadfinder werden und Theologie studieren. Sie wollten, dass wir selbst entscheiden, und waren dann umso verdutzter, als einige von uns sich zwar für den Ethikunterricht, aber dann doch auch für die Taufe entschieden.
Die Christen unter uns gingen zum Jugendgottesdienst, nie ohne Anspiel und Band, und als junge Erwachsene suchten wir Anschluss in einer Emerging Church. Nicht alle. Aber die meisten von denen, die Gottesdienste auch noch mit Führerschein spannend fanden. Heute treffen wir uns bei der Fresh-X-Bewegung wieder – ökumenisch selbstverständlich – und tragen unsere eigenen Konflikte aus, nur um nicht die Konflikte der vergangenen Generationen abschließen zu müssen. Obwohl doch einige Fragen nicht aus uns selbst kommen. Sie werden an uns herangetragen, und man gibt uns das Gefühl, wir müssten sie beantworten, um ein Feld weiter gehen zu dürfen. Homosexualität ist so ein Thema. Beziehungsweise es ist keins. Für uns zumindest nicht, weil wir lieber mit Menschen reden als über sie. Trotzdem kommen wir nicht drum herum.
Und jetzt tun wir schon selbst so, als könnte man auf einer Seite einer ganzen Generation gerecht werden. Einer Altersspanne, die mehr als ein ganzes Jahrzehnt umfasst. Während die einen von uns nachmittags vor dem Fernseher saßen, lagen die anderen noch in den Windeln. Während die einen bewusste Erinnerungen an 1989 haben, war diese Vergangenheit für die anderen eine Lektion im Geschichtsunterricht. Und doch sind die Mitte-30-Jährigen von den Mittzwanzigern am Ende gar nicht so weit entfernt. Da haben manche auch schon Familie, Freunde, die sich scheiden lassen, viele sind im Beruf, manche studieren noch oder orientieren sich um. Welche Filme, welche Musik wir mögen, was uns prägt, hat viel mehr mit Geschmack zu tun als mit Alter. Mit pauschalen Zuschreibungen trifft man unsere Generation auf dem falschen Fuß. Zum Verstehen helfen die meist ohnehin nicht. Aber: Die Generation Y lässt sich kennenlernen.