Artikel: Das Ende der Hebammen

Hebammen sind unverzichtbar. Das beteuern seit Jahren: Politiker, Haftpflichtversicherungen, Krankenkassen – die Hebammen selbst und die Eltern sowieso. Trotzdem droht dem Berufsstand in Deutschland ab Juli 2016 das Aus. Denn dann läuft die Gruppenhaftpflichtversicherung des Deutschen Hebammenverbandes aus. Freiberufliche Hebammen werden sich gar nicht mehr versichern können, was faktisch einem Berufsverbot gleichkommt. Denn 60 Prozent der Hebammen in Deutschland arbeiten freiberuflich, viele von ihnen zusätzlich zu einer festen Stelle.

Immer mehr Hebammen steigen schon jetzt aus der Geburtshilfe aus, weil die Haftpflichtprämien weiter steigen. Mit der letzten Erhöhung auf 6.270 Euro pro Jahr zum 1. Juli mussten laut Hebammenverband erneut 145 freiberufliche Hebammen die Geburtshilfe aufgeben. Die 2.348 versicherten Hebammen, die noch freiberuflich Geburten begleiten, zahlen unter Umständen sogar drauf.

Zwar gibt es insgesamt etwa 21.000 Hebammen laut Deutschem Hebammenverband (DHV), der die meisten Mitglieder zählt. Doch nur ein Bruchteil von ihnen hilft noch den Babys auf die Welt. Die allermeisten bieten Geburtsvorbereitungskurse an oder begleiten die Frauen im Wochenbett. Ab Sommer nächsten Jahres wird auch ihre Arbeit wegfallen, weil es dann auch dafür keine Versicherung mehr gibt.

Der Mangel ist für viele Frauen schon jetzt spürbar. Die verbleibenden Hebammen sind oft Monate im Voraus ausgebucht und überlastet – sowohl auf dem Land als auch in den Städten. Auf einer „Landkarte der Unterversorgung“ sammelt der DHV Fälle, in denen Frauen keine Hebamme gefunden haben. Über 2.400 Einträge finden sich dort bereits. Die Angaben sind nicht repräsentativ, sie zeigen aber doch, wie schlecht es um die Versorgung in Deutschland schon ein Jahr vor dem Ausstieg der letzten Haftpflichtversicherung bestellt ist.

Auch die Krankenhäuser sind betroffen: Um Kosten zu sparen, kündigen die Kliniken den Hebammen und beschäftigen sie freiberuflich weiter, oder schließen ihre Kreißsäle gleich ganz. Die verbleibenden Hebammen betreuen deshalb oft mehrere Geburten gleichzeitig, was nicht selten zu Komplikationen während der Geburt führt. Ein Krankenhaus in Bruchsal musste aus Mangel an Hebammen zeitweise Öffnungszeiten im Kreißsaal einführen. Frauen, die ihr Kind zwischen 17 und 7 Uhr bekamen, wurden an andere Kliniken verwiesen.

In einem Jahr wird sich die Lage weiter zuspitzen. Die Hebammenverbände prophezeien überfüllte Wartezimmer und verzweifelte Eltern. Denn bisher kommen die Hebammen in den ersten Tagen nach der Geburt täglich zu den Müttern nach Hause. Wenn die Hebammen fehlen, werden sie mit ihren Fragen alleine zurückbleiben – oder zum Arzt gehen, der dann weniger Zeit für die Behandlung Kranker hat. Der Fall in Bruchsal zeigt, dass es mehr Kaiserschnitte geben wird, weil Geburten sonst nicht in den Klinikablauf integriert werden können.

Bisher war die Geburt eines Kindes etwas Normales, kein Gebrechen. Deshalb sind in Deutschland Hebammen für sie zuständig, auch im Krankenhaus. Erst wenn Komplikationen auftreten, werden Ärzte hinzugerufen. Das ist die eigentliche Krux an der aktuellen Entwicklung: Ein Kind zu bekommen wird zu einer Krankheit.

Geburt ist ein Verlustgeschäft

Für die Haftpflichtversicherungen war die Geburtshilfe jahrelang ein Verlustgeschäft. Denn wenn bei der Geburt etwas schiefgeht, können Kosten in Millionenhöhe entstehen. Laut Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) machen die Hebammen nicht mehr Fehler als früher. Verantwortlich für die steigenden Beiträge sind die Folgekosten von solchen Fehlern: Eltern klagen sie häufiger ein. Die Haftpflichtversicherung der Hebammen kommt auch für zu erwartende Erwerbsausfälle auf und zahlt Schmerzensgeld.

Dazu kommen die Kosten der Krankenkassen für die Behandlung und Pflege der Geschädigten, ob Mutter oder Kind. Dieses Geld fordern sie bei der Haftpflicht der Hebamme wieder ein. Laut GDV machen diese Regressforderungen inzwischen etwa ein Viertel der Schadenstumme aus.

Für die Haftpflicht sind die Hebammen so wenig lukrativ, weil sich anders als etwa bei der KFZ-Haftpflicht die Schadenssumme nicht auf mehrere Millionen, sondern auf nur wenige Tausend Beitragszahlerinnen verteilt. Die enorm gestiegenen Beiträge vermitteln zwar den Eindruck, die Versicherer würden sich unverhältnismäßig bereichern. Doch es gäbe nicht nur noch einen Anbieter auf dem Markt, wäre die Hebammen-Berufshaftpflicht ein gutes Geschäft für Versicherer.

Um die Versorgung der Schwangeren zu sichern und auch um wieder mehr Versicherungen auf den Markt zu locken, hat der Gesetzgeber begonnen, dagegenzusteuern: Die Beiträge zur Berufshaftpflicht sollen nicht mehr so stark steigen. Deshalb sollen Kranken- und Pflegekassen auf Regressforderungen verzichten.

Außerdem sollte der Spitzenverband gesetzlicher Kranken- und Pflegeversicherungen (GKV) mit den Hebammenverbänden eine bessere Bezahlung verhandeln, als Ausgleich für die steigenden Haftpflichtprämien. Da Hebammen nach Zahl der betreuten Geburten bezahlt werden, sollen solche, die in besonders geburtenschwachen Regionen arbeiten, zusätzlich Geld bekommen, um die Haftpflichtprämie bezahlen zu können.
Diese Verhandlungen sind allerdings jüngst gescheitert. Es entbrannte ein heftiger Streit, der Fall liegt nun bei einer Schiedsstelle.

Hebammen und Krankenkassen streiten um Ausschlusskriterien für Hausgeburten

Der GKV-Spitzenverband und die Hebammen streiten um eine Liste mit Ausschlusskriterien. Die Krankenkassen wollen Hausgeburten unter bestimmten Umständen ausschließen, etwa wenn die Schwangere HIV-positiv ist. Wenn der errechnete Geburtstermin überschritten ist, verlangen die Kassen, dass ein Arzt oder eine Ärztin entscheidet, ob eine Hausgeburt noch möglich ist.

Die Hebammenverbände wollen diese Ausschlusskriterien verhindern, sie seien nicht wissenschaftlich belegt. Ob eine Geburt außerhalb einer Klinik sicher ist, könnten sie nach wochenlanger Begleitung der Schwangeren besser entscheiden, als ein Arzt. Der Geburtstermin sei außerdem nur eine statistische Größe, sagen die Hebammen. Er werde in der Hälfte aller Fälle überschritten, ohne dass das zu Problemen führe.

Hebammen im Geburtshaus, erwidert der GKV-Spitzenverband, seien sowieso bereits an die Ausschlusskriterien gebunden. Warum also nicht auch bei Hausgeburten? Allerdings gab es bisher einen Passus für die Geburtshäuser, der diese Kriterien einschränkte: „Die Wünsche der Versicherten sind bei der Entscheidungsfindung einzubeziehen sowie die Patientenrechte zu wahren.“ De facto hieß das: Auf Wunsch der Mutter war eine Geburt im Geburtshaus immer möglich. Dieser Passus soll jetzt auch wegfallen.

Dabei zeigt ein Qualitätsbericht, den der Spitzenverband selbst mit in Auftrag gegeben hat, dass Geburten in- und außerhalb von Kliniken ähnlich sicher sind: Bei Geburten zu Hause oder in Geburtshäusern tragen nicht mehr Kinder Schäden davon als in den Kliniken. Eine Geburt sei dann sicher, wenn eine eins-zu-eins-Betreuung gewährleistet ist.

Viele Eltern jedenfalls wünschen sich die Kompetenz der Hebammen. Ihr Anliegen bringen sie mit einer Petition zum Ausdruck, die bereits über 170.000 Unterstützer fand. Am Montag übergaben sie die Petition dem GKV-Spitzenverband in Hamburg. Sie werfen dem Verband nicht nur Fehlinformationen über die geplanten Änderungen vor, sondern sogar Rechtsbruch. Sie sehen die Rechte des Kindes, das Selbstbestimmungsrecht der Frauen und das verfassungsrechtlich geschützte Berufsausübungsrecht der Hebammen gefährdet. Sie fordern, Hebammenleistungen unabhängig vom Geburtsort zu übernehmen.

Österreich und die Niederlande haben eine Lösung

Zwar verfolgt niemand gezielt das Ende eines gesamten Berufsstandes, aber das Aus wird bisher auch nicht entschieden verhindert. Hebammen sind die Fachfrauen in Fragen der Geburtshilfe. Dass die Haftpflichtversicherung in den letzten Jahren derart gestiegen ist, zeigt nicht, dass sie schlecht arbeiten, sondern welche Verantwortung sie tragen. Wenn in den kommenden zwölf Monaten keine Lösung gefunden wird, gibt es bald keine Hebammen mehr in Deutschland.

Die Maßnahmen des Gesundheitsministers sind ein Anfang, es wird nicht ausreichen, den Hebammen Zuschüsse zu zahlen. Was, wenn sich die Beiträge der Haftpflichtversicherungen nicht stabilisieren und immer weiter steigen? Denn die Aufforderung an die Krankenkassen, auf Regress zu verzichten, ist keine tragfähige Lösung. Sie unterliegt ihrem guten Willen.

Ein anderer Vorschlag, der die Arbeit der Hebammen dauerhaft sichern könnte, liegt auf dem Tisch: Einen Haftpflichtfonds, wie es ihn bereits in Österreich und in den Niederlanden gibt, fordern Grüne und die Linkspartei. Hebammen bezahlen in Österreich eine Haftpflichtpauschale von 100 Euro im Jahr. Den Rest füllt der Staat auf. Die Geburtshilfe würde so als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gewürdigt und vom Zwang der Wirtschaftlichkeit befreit.

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